Nachruf für Ulrich Stampa

von Sigrid v. Engelbrechten


Am 23.11.2007 starb unser Vater im Beisein seiner Kinder im Alter von 88 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit.

Ulrich Stampa
Geboren ist er am 15.05.1919 in Ückerhof bei Stargard in Pommern als Ältester von 13 Geschwistern. Seine Eltern waren Walther Stampa und Ehefrau Hedwig geb. von Schöning. Nach dem Besuch der Volksschule in Ückerhof, besuchte er das Groeningsche Gymnasium in Stargard, machte seine praktische Ausbildung in der Metallbearbeitung bei dem Reichsbahnausbildungswerk und bei Heinkel in Rostock, besuchte die Staatliche Ingenieurschule in Stettin und schloss sein Studium mit dem Abschluss in der Fachrichtung Leichtbau ab. Es folgte eine Anstellung bei Focke Wulf Flugzeugbau in Bremen im Bereich der Konstruktion von Leitwerken in Holz und Metall. 1944 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und geriet kurz darauf in Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Flucht 1945 arbeitete er erst als Drechsler bei der Fa. Moeck in Celle und als Mechaniker bei der Luftbrücke in Fassberg bis er einen Arbeitsvertrag mit einer Gruppe von Ingenieuren unter der Leitung von Prof. Tank zum Bau eines Raketenflugzeuges nach Argentinien bekam. Dieser Vertrag lief 1956 aus, er kehrte nach Deutschland zurück und bekam eine Anstellung als maßgeblicher Flugzeugkonstrukteur bei der Fa. Weser Flugzeugbau in Bremen. Diese Großfirma wurde mehrfach umbenannt in VFW – ERNO und heute EADS. Hier arbeitete er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1984.
Ich möchte mich aber mehr auf den Menschen Ulrich Stampa konzentrieren und etwas darüber berichten, wie wir unseren Vater erlebt haben.
Ich erinnere mich nicht mehr an die Hochzeit unserer Eltern am 31.12.1948 in Brokstedt. Ich weiß aber, dass unsere Mutter seine große Jugendliebe war. Sie war für ihn der Inbegriff von Schönheit, Vitalität und Mütterlichkeit. Da sie gemeinsame Verwandte hatten, kannten sie sich schon seit ihrer Kindheit. Unsere Mutter Ingeborg geb. von Schöning heiratete aber in erster Ehe Oskar Erichsen und bekam zwei Töchter, Brigitte und mich. Ihr Mann fiel in den letzten Kriegstagen und unsere Mutter stand plötzlich mit 7 Kindern alleine da. Ihre Schwester Marie-Luise war kurz nach ihrem Mann gestorben und hatte 5 kleine Kinder hinterlassen, deren Vater in Kriegsgefangenschaft war. In dieser schweren Zeit kümmerte sich unser Vater, der gerade in Fassberg bei der Luftbrücke war, um unsere Mutter und unterstützte sie, wo er nur konnte. Bevor sie heirateten, kamen die Kinder bei Pflegefamilien unter, aber unsere Eltern fühlten sich für sie verantwortlich. So sagte unser Vater immer, dass er seine Ehe mit 7 Kindern begonnen hat! Als dann noch Gisela, Rodolfo und Ursula dazukamen, sprach er von seinen 10 Kindern! Das Verantwortungsgefühl unseres Vaters war aufgrund seiner Erziehung stark ausgeprägt und Verantwortung zu übernehmen war nie ein Problem für ihn. So holte er auch seine Schwester Gerda zu uns nach Argentinien, da sie im Nachkriegsdeutschland keine Arbeit fand. Auch Hilfsbereitschaft gehörte zu seinen Tugenden, davon können seine Schwestern Luise und Gerda berichten. Immer war er zur Stelle, wenn sie Hilfe brauchten. Eine Gegenleistung hat er nie erwartet, das war in der Familie selbstverständlich.
Als aktiver Flieger hat er viel Zeit auf Flugplätzen verbracht und mit kleinen Motor-, Segel- und Ultraleichtflugzeugen in Australien, in Namibia und in Europa lange Flüge unternommen. Als Segelflieger hat er drei Diamanten erflogen! So manches Mal hat er uns Kinder mitgenommen und wir konnten die Welt von oben betrachten. Weitere Beschäftigungen von ihm waren die Malerei und die Drechselei. Meistens hatte er einen Zeichenblock dabei, und aus allen Urlauben brachte er schöne Aquarelle mit. Bei seinen vielen Besuchen in der ganzen Welt bei Verwandten und Bekannten bedankte er sich mit schönen selbst gemalten Bildern. Auf seinen vielen Reisen versuchte er immer, möglichst bei Familienmitgliedern oder Bekannten unterzukommen. Nicht aus Sparsamkeit, sondern weil er so die Kontakte besser pflegen konnte. Er fragte dann auch sofort, ob er vielleicht etwas reparieren oder flicken könnte: Messer wurden geschärft, Nähmaschinen repariert oder der Rasenmäher wieder gangbar gemacht. So war er überall willkommen.
Außerdem war er kein langweiliger Unterhalter, hohles Gerede lag ihm überhaupt nicht. Die Gespräche mussten schon fundiert und interessant sein. Er selbst verfügte ja über ein kolossales Allgemeinwissen und das machte ihn zu einem anregenden Gesprächspartner. Bewundert an ihm haben wir auch seinen Pioniergeist und seine Neugier auf etwas Neues, Unbekanntes. So ist er einmal mit seinem Schwager Paul van Cayzeele in den Urwald von Bolivien unter ganz aufregenden Bedingungen vorgedrungen, weil sie überlegten, dort - nach Ablauf seines Arbeitsvertrages in Argentinien - zu siedeln. Daraus ist dann allerdings nichts geworden, die Bedingungen waren wohl zu schlecht.
Wenn ich so zurückdenke, glaube ich, dass die glücklichsten Jahre in der Ehe unserer Eltern die Zeit in Argentinien war. Unsere Mutter hatte dort Verwandtschaft aufgetan, und wir verbrachten wunderbare Ferien auf einer riesigen Estancia. Bekannte stellten ihm ein kleines Flugzeug zur Verfügung und er unternahm lange Flüge über die unendlichen Weiten der Pampa, es wurde ausgeritten und großartige Feste gefeiert mit den wunderbaren Verwandten in diesem großzügigen Land. Er ist später noch ein paar Mal nach Argentinien zurückgekehrt, viel im Land herumgereist und Freunde und Bekannte besucht, mit denen er noch bis kurz vor seinem Tod Briefkontakt pflegte. Briefeschreiben war auch eines seiner vielen Beschäftigungen. Er hatte Briefkontakte, die über 50 Jahre hielten! Jeden Tag lag mindestens ein Brief im Briefkasten, der sofort beantwortet wurde und die Antwort sollte nach Möglichkeit auch postwendend kommen! Eine seiner Lebensphilosophien war: tu es gleich – nicht aufschieben! Und: man erholt sich am besten von einer Arbeit mit einer anderen! Danach lebte er. Nie sahen wir ihn faul im Sessel sitzen. Wenn er sich mal von einer seiner vielen Aktivitäten: Gartenarbeit, Drechseln (viele perfekte Holzarbeiten wurden zu Geburtstagen und Weihnachten verschenkt), statische Berechnungen für Windenergieanlagen oder Reparaturen an seinem Haus in Bremen-Schönebeck usw. erholen musste, hatte er bestimmt ein interessantes oder wissenschaftliches Buch in der Hand. Handwerklich war er sehr geschickt, alles wurde selbst repariert, sei es das Auto, Möbel, Gartengeräte oder Reparaturen am Haus. Geht nicht – gab es nicht! So hatte sein Rasenmäher drei gedrechselte Holzräder, weil es keine Ersatzräder mehr gab! Aber alles was wir machten, war leider nicht gut genug. Sein Anspruch an sich und andere war enorm.
Die Windenergie war in den Jahren nach seiner Pensionierung sein Arbeits- und Entwicklungsfeld. Viele Windkraftanlagen sind unter seiner Anleitung entstanden. Wenn ich ihn zu Besuchen bei Freunden, Bekannten oder zu Familientreffen in ganz Deutschland fuhr, musste ich mir vieles über Windkraftanlagen, die Leistung, die Effektivität usw, anhören, was mich eigentlich nicht sehr interessierte. Ich habe es mir aber tapfer angehört! Er hat sich auch damit beschäftigt, Windkraft in der Seefahrt zu nutzen. Er stieß damit aber auf taube Ohren, wenn er sich um die Umsetzung in die Praxis bemühte
Über seine politisch stark konservativ ausgeprägte Einstellung möchte ich mich hier nicht äußern. Das hat er anlässlich vieler Gespräche selbst getan, ist meistens auf Unverständnis gestoßen und hat viele Menschen, insbesondere jüngere, brüskiert. Er ist aber stur bei seiner Ansicht geblieben und ließ sich in seiner Ideologie nicht beirren. Unsere Mutter hat sehr darunter gelitten, und sie war manches Mal vollkommen verzweifelt, wenn bösartige Anrufe oder Briefe kamen.
In seinen letzten Jahren hatte er große Herzprobleme und das Leben wurde immer beschwerlicher für ihn, da es ihm schwer fiel, alles was er noch vorhatte, zu bewerkstelligen. Was wir konnten, haben wir ihm abgenommen und ihn in keiner Situation allein gelassen. Sein Bewegungsradius wurde immer kleiner und er hatte keine Freude mehr am Leben. So war sein schnelles Ende eine Erlösung für ihn. Wir müssen jetzt ohne ihn leben und das fällt uns sehr schwer! Wir denken viel an ihn und sind glücklich, ihn zum Vater gehabt zu haben.
Sigrid von Engelbrechten
P.S. Unser Vater hat seine Lebenserinnerungen und Berichte seiner vielen Reisen in alle Erdteile niedergeschrieben. Sollte jemand daran interessiert sein sie zu lesen, so stelle ich sie gern auf CD zur Verfügung